Vor etwa 20 Jahren wollte ich zu Fuß nach Santiago de Compostela pilgern. Leider wurde nie etwas daraus, da meine Frau lieber anders und gemeinsam unsere Urlaubszeit verbringen wollte. 2012, mittlerweile Pensionär und Witwer dann die Idee, dieses Versprechen irgendwie noch einzulösen, bevor es gar nicht mehr klappt. Zu Fuß und per Fahrrad würde ich es nicht mehr schaffen, da 100 % GdB. Zudem habe ich im Sommer immer noch lediglich ein Zeitfenster von 3 Wochen, in denen meine Enkel nicht betreut werden müssen. Also kaufte ich im September 2012 eine wunderschöne Estrella, da die Tour mit meiner Suzuki 1250 GSX wohl doch eher einer Urlaubsfahrt nahe gekommen wäre. Leider gibt es zur Estrella praktisch kein Gepäckträgerzubehör. Also montierte ich das Fehlingsystem für die Bonneville mittels Flacheisen etc. an die Kleine. Dazu kam ein Sturzbügel für die W 800 und ein Gepäcktäger von der Intruder 1800. An den Sturzbügel montierte ich Getränkehalter, links an der Kofferstrebe zur Fußraste einen 3-Liter-Kanister und rechts eine Tuaregtasche mit 1 Liter Öl. Auf dem Bild sieht man, dass ich 2 Koffer und 2 Topcases hätte montieren können. Das vordere Topcase ließ ich weg. Als Ersatz für den Posersattel konstruierte ich aus einem alten MZ-Sattel ein bequemes Teil, das ich auf der Hinfahrt noch durch ein Gelkissen "verbesserte", was aber nicht nötig war.
Am 10. August ging es dann mittags los. Ich hatte mich für die Tour für die "Sommervariante" mit Kevlarjeans und meiner alten Tuaregsommerjacke entschieden, dazu leichte Probikerstiefel. Für Notfälle waren in den Tanktaschen Regenhose, Regenjacke und Gamaschen deponiert. (Wurden nur einen halben Tag benötigt.) Um Köln herum 2 Stunden Stau, an der Raststätte Röttgen erst Mal Pause. Abends beim Cousin und Frau in Altenkirchen / Kusel gut aufgenommen worden.
Am Sonntag war dann nur kurze Fahrt angesagt, da ich in Verdun die Schlachtfelder etc. besichtigen wollte. Die Stadt ist wunderschön wieder aufgebaut worden (1919 - 1929), aber als ich die ersten "Denkmäler" sah, hatte ich die Schnauze voll. Hat die Menschheit irgend etwas gelernt aus all dem Leid?
Also die nächsten Taqe weiter mit Übernachtungen in Orleans, Angouleme und Pau. Geruhsames Fahren, allerdings immer wieder die leidigen "Peage"-Stationen, die bei mir immer "Für`n Arsch" hießen. Handschuhe aus, Jacke auf usw.
Auf der Landstraße konnte ich dann doch mal "Knipsen". Wunderschöne Himmel bei spätsommerlich trockenen Landschaften.
In Pau übernachtete ich auf dem Hinweg direkt in einem Hotel in der Fußgängerzone.
Nur hier musste ich in einer öffentlichen Tiefgarage direkt unter dem Platz parken. Allerdings habe ich auch in Pau - wie jede Nacht - Teile des Gepäcks auf dem Moped gelassen. Tankrucksack, Tanktaschen, Knister, Öl, Wäschesack vor dem Topcase. Es ist in all den Tagen nichts "verloren" gegangen. Hier noch das Bild vom Schloß Heinrichs IV.:
(Von den über 250 Bildern sind hier Text nur 55 im Text.)
Richtung Pyrenäen dann eine vorbildliche Raststätte mit deutlicher Kennzeichnung für Behinderte bzw. Motos. Natürlich parke ich wie immer am Bordstein, um das Auf- und Absteigen bei der 90er Sitzhöhe zu erleichtern. Die Kniee wollen halt nicht mehr so.
Die Raststätten in Frankreich und Spanien waren meist sehr gepflegt, günstiger als bei uns und immer ohne "Pinkelgroschen". Nur im französischem und im spanischem Baskenland verlies ich je ein Mal die Raststätte ohne Speis und Trank und ohne "Ölwechsel".
Da mich Forumteilnehmer aus Mo24 wegen der Kälte in den Bergen gewarnt hatten, zog ich für die Fahrt nach Spanien ab Pau meine Thermounterwäsche an. War ein Fehler, denn es war nie weniger als 18 Grad, in Pamplona bereits über 32 Grad warm. So machte ich kurz vor Estella ( wollte ich unbedingt hin ) ein Nickerchen auf dem Moped. Sekundenschlaf. Schreien, "singen" und grölen und endlich kam Estella.
Rein in die Stadt. Wo bitte gibt es Estrella Bier? Beim "Bruder Diego" einen dicken Pott Kaffee für ganz kleines Geld reingezogen, Rauchopfer gezündet und 3 Fläschchen Estrella-Bock mit 7,2 Umdrehungen je 1,80 € in das Topcase verladen.
Im Motel "Villa de Los Arcos" dann nach dem Duschen die niedlichen Fläschchen geleert. Hei, wie das zischte!
Gleich geht es weiter, weiß nicht, wie viel ich hier auf einmal reinsetzen kann.
Ab Los Arcos ging es dann weiter immer südlich des Kantabrischen Gebirges, also an der Regenschattenseite. Bisweilen interessante Anblicke wie diese Storchennester, die immer wieder zu sehen waren.
Hier konnte ich nur die "echten" Pilger zu Fuß oder Fahrrad bewundern. Oft lief der Weg neben der Straße her, kilometerlange Steigungen und kein Schatten. Ab Leon und Lugo wurde die Landschaft wieder "grüner". Natürlich habe ich mir neben den guten Weinen immer auch ein "Estrella" zum Essen gegönnt.
Da ich im Hotel in Santiago erst ab 15 Uhr aufschlagen durfte, fuhr ich von Lugo aus direkt zum Ende der Welt "Cabo Fisterra". Unterwegs kleine Rast am Atlantikhafen in ??? mit netten Tischnachbarn.
Hier dann halt Estrella "bleifrei". War auch gut so.
Bei der Weiterfahrt über einspurige Bergsträßchen mit Rollsplitt und all dem Gepäck drauf, wurde die Estrella irgend wie "schwammig". Dabei lag sie sonst immer wie ein Brett und juschte nur so ums Eck. Keine Tankstelle von Santiago bis Fisterre. Das 30 % Gefälle zum Atlantik war die Krönung, obwohl dort guter Straßenbelag war. In Fisterre getankt und nach der Luft sehen lassen. Hinten etwas nachgepumpt, aber vorne?
Gott sei Dank war es nur das Ventil und da hatte ich eins mit. (Demnächst mindestens 2!)
Nach dem Tanken hoch zum Kap (am Arsch der Welt). Hier am Wendepunkt und nach bisher über 2800 km hatte sich mein Moped den Ehrentitel "Hadschi Halef Estrella Santiago" verdient.
Mein Erinnerungsfoto mit Pilgermuschel und der Pose "Wo, bitte, ist das nächste Ende der Welt?"
Natürlich habe ich auch 3 Teile verbrannt, wie es üblich ist. Allerdings wegen der Dürre nur auf dem Parkplatz.
So kann man auch da hin kommen, wie überall auf der Welt - Bustouristen, die sich auch freuen.
Zum Spätnachmittag wieder Richtung Santiago, diesmal mit prima Reifendruck (2,3 und 2,8). Ein Kaffee und etwas Mampf mussten sein. Leider kommt man in Frankreich und in Spanien teilweise erst ab 20.30 Uhr in gute Speiselokale. Bis dahin ist man mit leerem Magen bereits besoffen.
Das Hotel in einer ruhigen Seitenstraße der Innenstadt war super. Meine "Raucherterrasse":
Daneben direkt ein schattiges Plätzchen für das Moped und das vom Chef.
Montag hatte ich ja nun "fahrfrei". Also zur Kathedrale, zum Pilgerbüro und durch die Altstadt geschlendert. Im Pilgerbüro bekam ich den Stempel im Pilgerpass, aber kein "Diplom". Was soll es. Ich hatte das erreicht, was ich mir vorgenommen hatte und mein Versprechen (teilweise) eingelöst.
Das große Weihrauchfass sieht hier sehr klein aus, ist aber beeindruckend. Hätte es gerne am 25. Juli schwingen sehen.
Böser Max knipst während der Messe und dann noch mit Blitz, aber ich konnte nicht anders. Bei der Umarmung der Jakobusfigur habe ich doch die Kamera weg gelassen. Abends dann am Pilgertor die Ankunft einer Familie mit kleinen Kindern auf dem Rad und mit Pilgergepäck:
Gleich geht es weiter mit der Rückfahrt an der Biskaya entlang.
Was hatte ich mir für Sorgen über die Biskaya-Etappen gemacht. Sturm und Regen hatte ich erwartet und bekam bestes Spätsommerwetter mit Temperaturén bis 39 Grad (in Bilbao). So sah das Meer und der Himmel direkt hinter Foz aus:
An der Landstraße immer wieder nette Gaststätten. Natürlich saß ich wie meist auch abends draußen:
In Gijon nächtigte ich in einem 4 **** Sterne-Hotel im Gewerbegebiet. Hatten ein eigenes Restaurant, so dass ich nicht noch weg musste. War nicht mein Schaden. Leckeres 3-Gänge-Menü incl. 0,75 Liter leckerem Wein: 15 € Was habe ich gut geschlafen. Moped in der Tiefgarage.
Bilbao war wunderschön.
Ich könnte einige Bilder hier rein setzen. Hier nur mal ein Bild über die Temperaturen da:
Der eingebaute Motorradfahrerairbag ist reine Zugabe.
Irgend etwas feierten die gerade. Aber nach dem Essen und zwei Halben wankte ich wieder bergauf zur Pension. Unterwegs noch mal den Flüssigkeitshaushalt ausgeglíchen. Da fällt man natürlich um 21 Uhr ins Bett. Ab 22 Uhr dann ein Feuerwerk, das im Talkessel knallte wie bei der Panzerschlacht zu Kursk. Ich habe es noch bis zum Fenster geschafft, aber nicht bis vor die Tür zum Fotografieren. Ich war total alle wegen der Hitze, zudem hatte ich nach der ersten Woche keine Herztabletten mehr. Schade.
In Biarritz werde ich an der Strandpromenade einen Kaffe trinken und wenn er 12 € kosten sollte.
Es war etwas diesig an diesem Tag. Aber welche Überraschung. Hier kann man ohne zu verarmen einkehren. Hier habe ich gesessen und für einen Kaffee vorher, einen zum Abschluss, eine Calzone, ein Glas Wein und ein "Bleifreies" gerade Mal 19,30 € bezahlt.
Jetzt ein Sprung ins Rhonetal, damit es nicht zu lang wird. Ist dieses Wartehäuschen nicht geil? Bin extra im nächsten Kreisverkehr wieder zurück:
Auch in den kleinsten Städtchen immer wieder schöne Plätze im Ortskern. Hier nördlich Valence. Nach meiner Kaffeebestellung und der Frage nach der Speisekarte, antwortete der Chef: "Manger - at twelve o`clock." Immer wenn ich mein Französisch oder Spanisch anbringen wollte, überfiel man mich mit einem Englischschwall.
Dieser "Extrem Pigmentierte" war kein .... Der Junge Mann (23) kam aus Litauen und war bereits seit zwei Monaten an der frischen Sonnenluft unterwegs. Litauen, Polen, Deutschland und jetzt war er bis ins Rhonetal gekommen. Nein, bis Santiago würde er es wohl nicht mehr schaffen, vielleicht bis Barcelona und dann per Flieger zurück. Ich nehme an, das Wintersemester wartet. Also bekam er meine Pilgermuschel, die schon von zwei Leuten bis Santiago gebracht worden war.
Man müsste noch mal zwanzig sein ...
Ab Lyon dann hoch ins Jura. Hier war dann Herbsteinbruch. Morgens etwas neblig, bis runter auf 8 Grad. Aber traumhafte Himmel und grüne Landschaften.
Unterwegs sang ich: Über deine Höhen pfeift der Wind so kalt, bin aber weiter im Sommerdress gefahren. Bei der Ankunft im Hotel de La Gare in Champagnole dann: Großer Gott, wir loben dich und wir preisen deine Stärke. So sieht man dann aus:
Geht aber noch. In Pau hatte mich ein Belgier (nach Wein und Bier) auf 79 geschätzt.
Das Doubstal war herrlich. Hier, wie so oft in Frankreich und Spanien, bestes öffentliches Grün bzw. Blumenpracht.
Im den Südvogesen übernachtete ich in Rimbach´. War super, aber ein Funkloch (kein Handy) und kein Satellitenempfang. Also ca. 30 km über kleinste Sträßchen frei Schnauze weiter. War wunderbar, alles nur für mich. Der Nebel tat ein Übriges für freie Fahrt ohne Belästigung durch andere.
Dann kamen wieder Wegweiser:
Und eine kleine Einkehr gegen klamme Finger.
Am letzten Tag dann über den Hunsrück und das Moseltal nach Hause. Wunderbare Straßen aber "Über deine Höhen pfeift´s wie Westerwald". Im Moseltal dann sofort wieder über 20 Grad.
In Kröv hat mich dann der Wahlkampf und die "Kröver Nacktärsche" erwartet.
Alf kommt nicht vom Planeten Melmak. An der Mittelmosel wurde er geboren. Letzte Mittagsrast mit Blutwurst, Leberwurst, Pfälzer Kraut und Wein. Auch lecker nach all dem Südländischen. Wie sagte die polnisch (?) Wirtin? "Hier wird noch gekocht wie früüühär."
Und dann zuckelt noch eine Yamaha RD vorbei. Mensch, was willst du mehr?
Alles war für mich ein großes Erlebnis. Bis auf das Reifenventil und lose Schrauben keine Probleme. Zwei Nächte lang träumte ich danach "Französisch".
War vielleicht wieder etwas lang, aber ich kann nicht anders.
Vielen Dank für die zusätzliche Ausarbeitung des Pilgerreise-Berichts.
So macht es Spaß, Deine Reise am PC im Nachhinein mitzuerleben (auf mo24 war es mir zu unterbrochen und ich konnte die Bilder gedanklich nicht passend zuordnen).
Dankeschön für diesen tollen bebilderten Bericht - der jetzt in der Tat viel mehr Spaß macht!
Ich habe mir erlaubt Dein erstes Post zu editieren. Natürlich bleibt der Link auf den ausführlichen Urbericht. Es wird aber auf "Seite 2 ab Post #17" hingewiesen. So finden die Leute den Bericht am schnellsten.
Ein Jahr später nun der Bericht über die Folgen meiner "Pilgerei" mit dem Moped.
Ich wollte das so, es hat mir viel gebracht, sowohl die Vorbereitung, die Fahrt selbst als auch die persönlichen Veränderungen (durch die Pilgerfahrt?).
Wer weiß.
Im November 2013 nach 50 Jahren die heftige Qualmerei von heut auf morgen aufgegeben. Hoch auf 98 kg geschossen. Kämpfe zur Zeit mit 93/94 kg und will wieder auf 88 runter.
Eine meiner Schwestern aus dem "Register" getillt. Tut gut, auch wenn sich das Böse anhört.
Im Januar 2014 bei einem Familienessen erwähnt, dass die "Oma" nun 3 Jahre tot sei und ich mir gerne eine neue Freundin zulegen würde. Als der größere Enkel meinte: "Tu das doch, kann dir doch keiner verbieten." Da war alles klar und ich hatte das unendliche Glück, die "Goldene Nadel im Heuhaufen" zu finden.
Eine wunderbare Frau und wir verstanden uns auf Anhieb. Sie fährt einen Suzuki Burgman und natürlich auch meine Motorräder.
Freunde und Verwandte meinten, ich hätte seit Santiago und vor allem seit "Hanna" einen deutlich freundlicheren und entspannteren Gesichtsausdruck.
Meiner Estrella geht es dieses Jahr so, wie bei den meisten Besitzern. Sie steht warm und trocken in der Garage und wird wenig bewegt. Mal ist Hanna drauf gefahren und ich dann mit meiner Honda. Auf die Estrella kommt Hanna drauf, die Honda 500 X ist mit 81er Sitzhöhe zu viel für mein Mädel. Ansonsten fährt Hanna den Burgmann und ich die Honda. Bei der Estrella will ich noch die Sattelkonstruktion etwas tiefer legen, damit Hanna damit besser fahren kann.
Und so wie heute, wenn Hanna das Auto zur Arbeit mit hat, dann nehme ich den Roller für Einkäufe. Ist einfach praktischer.
Dieses Jahr war einfach nicht Mopedjahr für uns. Durch unseren "Zusammenzug" bekam ich gleich die Ansage meiner Schwiegertochter, dass für eine neue Frau auch die Wohnung neu (renoviert) zu sein hat. Streichen, Laminatböden legen etc. (Aua, meine alten Knie.)
Und das Aussortieren und das Wegwerfen ist auch eher tränenreich. Wir müssen halt 2 Haushalte nun in einer Wohnung unterbringen.
Ich muss zugeben, ich beneide Dich etwas dafür das Du die Zeit hast um solch eine ausgedehnte Tour zu machen. Meine Frage zielte hauptsächlich darauf ab ob und wie die Estrella, insbesondere der Motor, diese Tour, fast würde ich in meinen Augen sagen "Tortur", überstanden hat. Missverstehe mich bitte nicht, Du kannst mit deinem Motorrad fahren wie Du willst, aber ca. 140 km/h, aua... Dann die ganze Zuladung, das ist, glaube ich, doch recht beanspruchend für die Estrella. Deinem Beitrag entnehme ich das wohl alles OK ist, scheppert nix, gut. Auch muss ich zugeben das ich deinen Thread auf MO24 nicht gelesen habe nur deinen Beitrag hier. Ich scheue doch auch ein bisschen die Wühlerei... Vielleicht hast Du es ja dort schon beschrieben aber was mich hier im Motorrad Forum noch interessieren würde sind Themen näher am Motorrad: - Welche Vorbereitungen am Motorrad machen Sinn, welche kann man weglassen. Wie sind da deine Erfahrungen? - Bei derart Zuladung: Fahrverhalten? Seitenwind? - etc. etc. Die persönlichen Dinge sind wichtig und auch richtig hier, doch die Gründe für eine lange Tour sind unterschiedlich, aber deine Erfahrungen mit diesem Motorrad auf dieser langen Fahrt könnten auch anderen nützlich sein. Gruß Ello