Zu Ostern 2019 habe ich endlich die, seit vielen Jahren geplante, kleine Überholung meiner Estrella nach 53000 km durchgeführt. Sie war lahm geworden und der Motor mußte richtig gedreht werden, die geschätzte langsamdrehende Langhubercharakteristik war praktisch dahin. Auch der Ölverbrauch war auf gut 1,2 L/1000Km gestiegen und sie brauchte ewig, um warm zu werden-aber sie fuhr natürlich noch einwandfrei und zuverlässig.
Nach der Demontage des Zylinders und Zerlegen des Zylinderkopfes zeigte sich ein sehr positives Bild trotz der Laufleistung: Laufbuchse ohne "Stufen"und Kratzer (wo die Kolbenringe nicht drüberliefen, war alles kräftig braungekohlt-durchgeblasen) war , Ventilführungen nicht verschlissen, Nockenwelle und Kipphebel pittingfrei-alles scheinbar gutes Material. Die Ventilteller waren mit fester, weißer Asche überzogen. Sie wurden gereinigt und neu eingeschliffen, der Zylinder leicht gehont.
Nicht so gut vom Zustande her zeigte sich der Kolben, der Spaßverderber: auf den ersten Blick einwandfrei, aber: Bolzen klappert beim Schütteln leicht, Ölabstreifringe richtig festgekohlt, Ringspiel zu groß (die Ringe haben sich in ihren Nuten trapezförmig aufgerieben). Den wollte ich natürlich nicht weiterverwenden(...aber den Originalen find ich zu teuer). Irgendwann hatte ich mal Fotos aus dem Internet vermessen, um die Estrellakolbenmaße zu bestimmen. Lange Recherche im Internet nach einem Kolben mit ähnlichen Maßen führten zu zwei brauchbar erscheinenden Ergebnissen, welche außerdem, verglichen mit dem Original, äußerst preisgünstig sind, und ich bestellte einen (für Bohrung 66mm, auch Übermaße sind erhältlich) . Es handelt sich dabei um den Kolben der Quinqui QM200 (Lizenznachbau Suzuki DR200) . Bezugsquelle: Aliexpress oder Ebay . Dieser sollte nun endlich Verwendung finden. Bezüglich der Qualität hatte ich keine Bedenken, die Chinesen haben ihr Handwerk inzwischen recht ordentlich gelernt. Beispielsweise sind echte Kolbenschäden bei Chinarollern äußerst selten.
Der Kolben unterscheidet sich leicht vom Estrellakolben (Dach, Bolzenversatz, Schmiernute, breitere Kolbenringe, leichter ist er auch) , und die Kolbenbolzenaufnahme muß etwas verbreitert werden, um aufs Estrellapleuel zu passen (auf 20,5mm verbreitert), weiteres ist nicht nötig (hab noch vorn und hinten je ein 2mm Loch hineingebohrt, wegen der Schmierung), er endet OT ca. 2,5mm vor Laufbuchsenende, weshalb er auch ohne Ventiltaschenbearbeitung nirgendwo anstößt. Durch das ballige Dach wird die Verdichtungsverringerung rechnerisch fast ausgeglichen (ca. 8.6:1 gegenüber 9:1), die Kolbenbolzenauflagefläche ist praktisch genausogroß (rechnerisch) wie beim Estrellakolben.
Als der Motor dann wieder zusammengebaut war, und gestartet wurde, war ich richtig überrascht: plötzlich war das Auspuffgeräusch richtig kernig (Originalauspuff dran) , der Motor kam schnell auf Betriebstemperatur , und hielt den Leerlauf stabil. Auch die erste Fahrt war klasse, eben wieder "langhubig",sie lief gefühlt besser als wie damals, wo ich sie gekauft habe. Die Klingelneigung ist auch vollständig verschwunden. Klemmerneigung war nicht festzustellen. Vollgasfest ist der Motor auch, sie läuft wie vorher ihre 113 Km/h. Heute hat sie die 56000 Km überschritten, der Motorlauf ist auf den letzten 3000 Km immer besser geworden, der Ölverbrauch liegt bei 120ml/1000km , fast vollkommen problemlos eben (mehrmals das leidige Ventilspiel eben...).
Falls ein Kolben für einen schon auf 67mm aufgebohrten Zylinder gebraucht wird, da bietet sich der Kolben der Honda CG250 an, der müßte sogar ohne weitere Nachbearbeitung passen.
schön, dass sich mal jemand intensive Gedanken macht in Sachen kostengünstiger Reparatur / Leistungswiederherstellung des Estrellamotors. Freut mich, dass Du Erfolg hattest. Glück war / ist dabei, dass der enorme Kolbendom (Wölbung) die 2,7 mm (14 mm + 8 mm = 22, zu 24,7 Original) fehlende Kompressionshöhe so glücklich ausgleicht. Wäre der Bodenflach läge die Verdichtung bei exakt 6,7 zu 1 - ein super Vorkriegswert für eine 14 PS Estrella!
Ich hatte, dank der einschlägigen Hyperkonsumplattformen ähnliche Untersuchungen vor längerer Zeit auch schon gemacht. Mein Fazit: kann gut gehen, man muss aber sehr genau prüfen, was man da einbaut. Ich hatte eigens mal ein paar CG250 Kolben mehr bestellt und zersägt und zusammenfassend folgendes festgestellt:
• die Chinakolben haben mitunter wesentlich geringere Wandstärke im Bereich der Kolbenringe (erklärt das geringere Gewicht, brigt aber einen gewisses Bruchrisiko (Vergleichsbilder folgen) • die Materialqualität unterliegt teils massiven Schwankungen (1 von 3 Kolben hatte im Bereich der Ringstege eine kleine schwarze Stelle, die sich nach etwas kratzen als stattlicher Lunker bzw. Schlackeeinschluss herausstellte [siehe Bilder 1 & 2] - der gemeine Chinese verfolgt unter marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten offenbar doch noch eine etwas andere Qualitätspolitik) • die Kolben sind teils für Nennleistungen 25% - 40% unterhalb der ohnehin schon geringen Estrellaleistung ausgelegt. Das bedeutet, dass die o.g. Aspekte sich bei den Nachbaumotoren ggf. weniger oder gar nicht auswirken. Ob die Teile bewährt auch bei BJ250 langzeitmäßig durchhalten muss sich im Einzelfalls zeigen. Bitte berichten. • die Kolbenbolzen waren alle schlampig verarbeitet und wenig vertrauensbildend. An den Enden konnte man noch die Sägemarken von der Ablägerei sehen und innen klebte noch der versammelte Dreck der Einsatzhärtung, was ohne Reinigung sofort wieder Schaden gemacht hätte.
Zum CG250 (Lifan / Zongshen) Kolben ist ferner anzumerken, dass die Kompressionhöhe je nach Ausführung offenbar schwanken kann. Ich hatte eine Version mit Kompressionshöhe 26,7 mm [Bild 3] was 2 mm zu viel ist - sprich der Kolben guckt oben aus’m Zylinder raus. (beikommen, wollte ich dem durch die Verwendung von einer 1,5 mm statt 0,5 mm starken Fußdichtung sowie „randliches“ Abdrehen um 1,0 mm für Verdichtung von 10,5 zu 1 durch den resultierend höheren Dom. Die dickere Fussdichtung spannt übrigens die Steuerkette deutlich mehr vor und ermöglicht dem Spanner so viel mehr „Einsatzhub“. Sprich, die Kette würde nie schleifen am üblichen Punkt.) Andere Angaben zur Kompressionshöhe liegen bei 23,9 (= minus 0,8) und wäre gerade noch verschmerzbar [Bild 4]. Auf jeden Fall aber muss man die Ventiltaschen anpassen, denn der Ventilabstand bei der CG ist geringer, sprich die Teller würden je außen in Kontakt treten, obwohl die Taschen selbst viel tiefer sind als beim Originalkolben [Bild 5 vs. 6]
Lief beruflich alles in andere Richtungen, ist nur Hobby. Scharlachdorn, hast du den CG250-Kolben denn auch schon mal im Fahrbetrieb getestet? Wie hat er sich verhalten?
Auf dem Foto zusammengesteckt mit dem Kolbenbolzen Estrellakolben und Cgkolben (für 67mm Zylinderbohrung)
4000 Km hat der Kolben nun im harten Alltagseinsatz hinter sich, und nichts negatives ist festzustellen. Der Motor läuft hervorragend, man kann angenehm niedrigtourig (35Km/h im 5. Gang, und er zieht ruckelfrei hoch) und schaltfaul fahren (hab ihn überhaupt noch nicht zum "klingeln" bringen können), der Ölverbrauch lag bei diesen 100 Km bei grad mal 90ml (bis Bullauge voll, allerdings hängt seit einiger Zeit immer ein Tropfen an der Ölablasschraube), und der Benzinverbrauch zwischen den üblichen 3,1-3,5l. Seitdem es wieder etwas kälter ist, reagiert allerdings der Vergaser leicht verzögert, er braucht seine "Gedenksekunden". Da dieser eh schon ziemlich abgenutzt ist (Schieber), habe ich vor, ein Experiment mit einem einfachen 26mm "Molkt" Rundschiebervergaser zu machen. Etliche 250-350er Motorräder waren früher mit so kleinen Vergasern ausgerüstet. Bin gespannt, wie der Estrellamotor damit arbeitet.Kleinerer Vergaser, kleinerer Verbrauch? Das wäre natürlich schön.
Zitatman kann angenehm niedrigtourig (35Km/h im 5. Gang, und er zieht ruckelfrei hoch)
Boah! Da gibts also einen, der seine Ella noch niedrigtouriger fährt als ich. 35 im Fünften - das mach ich nicht mal bergab. Aber wenn dein Motor es klaglos mitmacht - warum nicht.
Zitat von Mopeduwe im Beitrag #7Kleinerer Vergaser, kleinerer Verbrauch? Das wäre natürlich schön.[File:P1000845.JPG|none|auto]]
Richtig abgestimmt bedeuten ca. 40 % weniger Vergaserquerschnitt mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch Verbrauchsminderung. Nämlich genau den Verbrauch weniger, der Dir an Höchstleistung mangels Unterversorgung nicht mehr zur Verfügung gestellt werden kann.
Also, was mich ja immer wundert, sind die Angaben in alten Bedienungsanleitungen. Unter den Suchwörtern " Vergasebedüsung R27" bei Google ist z.B. eine für die Bmw R 27 zu finden, deren technische Daten denen des Estrellachens recht ähnlich sind. In dieser wird allerdings ( bei liegendem Fahrer) die Höchstgeschwindigkeit mit 130 Km/h angegeben. Und das mit 26mm- Vergaser. Was unterscheidet unser "Mofa mit großem Nummernschild" soweit von Motorrädern mit ähnlichen technischen Gegebenheiten, daß es einen Vergaser mit größerem Durchmesser benötigt?
...dann anbauen und testen. Die BMW R27 braucht übrigens um 4 Liter Sprit auf 100 km. Kraft kommt von Kraftstoff (und Steuerzeiten, Verdichtung, usw.).
Heute hat der QM 200-Kolben die 5000 Kilometer überschritten, und im Westen nichts neues: Estrella läuft,und läuft,und läuft immer noch Einwandfrei (bis auf den nervigen, verzögernden Vergaser, das ist allerdings ein Fall fürs Frühjahr, wenns wärmer ist). Scheinbar ist er dauerfest, und den Belastungen gewachsen. Aus meiner Sicht zeigt sich das Experiment als Erfolg, die Erwartungen bezüglich Verringerung des Ölverbrauches, und der Wiedererweckung der verlorenen Leistung haben sich erfüllt. Jetzt macht die Estrella erstmal richtig Spaß, da sie so läuft, wie ein Einzylindermotorrad mit langem Hub laufen soll: dampfhämmerchenmäßig!